Das geplante Musikwiki: Chance oder Enteignung?
Mit einem Musikwiki, also einer Datenbank für Musiknoten möglicherweise basierend auf der Wikipedia-Software, soll im Herbst eine weitere digitale Revolution in der Musikwelt ihren Anfang finden. Intendiert ist unter anderem, daß sich Chorleiter schnell und einfach mit Arrangements alter aber auch aktueller populärer Musik versorgen können. Die Idee, ein Portal anzubieten, auf dem jeder alle Noten von allen Werken der Musik veröffentlichen und auch Arrangements erstellen kann, ist mindestens ebenso verlockend wie aus urheberrechtlicher Sicht problematisch.
„Noten sind nur eine Sammlung von Zutaten, Mengenangaben und Anweisungen zur Herstellung von Musik. Sie sollten wie Kochrezepte frei sein.“
(Frank Christian Stoffel, Musikwissenschaftler)
Damit muß hier gleich ein problematischer, wenn nicht gar gänzlich wunder bis offen und unversorgt blutender Punkt der Idee eines Musikwikis angesprochen werden: Musik im allgemeinen und Noten im speziellen genießen im deutschen Urheberrecht einen starken Schutz. So dürfen letztere gemäß § 53 Absatz 4 UrhG zum privaten Gebrauch nur dann vervielfältigt werden, falls enge Voraussetzungen erfüllt werden. Schon diese Sonderstellung ist in letzter Zeit hart verteidigt worden, beispielsweise beim Streit um das Notenkopieren in Kindergärten. Es ist daher wohl kaum anzunehmen, daß die großen Musikverlage hier bei einer nicht-privaten Nutzung einfach kampflos das Feld räumen werden.
“[…] vielleicht könnte man die Gema-Nummer der Urheber gleich dazuschreiben” (Donikkl)
Ein Musiker namens Donikkl kann der Idee allerdings einiges abgewinnen. Er würde ein solches Musikwiki als Promotion-Tool begreifen, und – so zumindest lässt sich seine Äußerung verstehen – spekuliert auf eventuelle GEMA-Einnahmen aus dem Aufführungsrecht. Das ist unter wirtschaftlichen Aspekten völlig verständlich: Er muß gerade beim statistischen Verteilungsverfahrens der GEMA in der Unterhaltungsmusik seine Musik möglichst oft und in möglichst unterschiedlichen Gebieten (und neuerdings wohl am besten auch noch in möglichst verschiedenen Inkasso-Gruppen) aufführen, um überhaupt einen akzeptablen Betrag für ein Abrechnungsjahr zu erhalten. Wenn er nicht nur selbst seine Musik aufführt und der GEMA meldet, sondern andere ihn dabei unterstützen, würde er schlicht und ergreifend mehr Geld bekommen. Die Noten dazu könnte er dann notfalls einfach verschenken (O-Ton: „Ich würde zwar mein geistiges Eigentum kostenlos hergeben, aber ich würde dafür auch etwas bekommen“). Eine zentrale Anlaufstelle zum Veröffentlichen und Auffinden von Noten würde Urhebern wie Donikkl sicher sehr entgegenkommen. An einem Punkt – auch wenn das nun vom Thema abweicht – sollte man Donikkl aber vorsorglich jeglicher Illusionen berauben:
„Wenn wir pro angeklicktes Musikvideo bei Youtube auch nur einen Cent bekämen, wäre das toll.“
Google weigert sich ja schon die von der GEMA geforderten 0,375 Cent (!) pro Videoaufruf zu zahlen. Einen ganzen Cent Beteiligung zu fordern, wäre in den Augen der Internetwirtschaft ja schon fast blasphemischer Wucher. Merke: Das Geld fließt im Internet immer zu den großen Konzernen, die mit ihrer Marktmacht ihre Forderungen diktieren. Man sollte schon sehr gute Gründe haben, um freiwillig auf sein Urheberrecht auch nur teilweise zu verzichten.
Meinung zum geplanten Musikwiki:
Es spricht für viele Komponisten allerdings einiges dafür, graphische Aufzeichnungen von ihren Werken der Musik – also Noten – frei zu verteilen. Im Gegenzug müssten die Nutzer darauf achten, auch tatsächlich die ungeliebten Musikfolgen bei der GEMA einzureichen. Eine Befreiung der Musik aus der Knechtschaft des Urheberrechts, wie manche sie sich sicher schon erhoffen, wird so nicht stattfinden. Wer nicht freiwillig einem Musikwiki seine Noten überlassen möchte, kann nach derzeitiger und wohl auch zukünftiger Rechtslage nicht gezwungen werden, die ungenehmigte Veröffentlichung seiner Werke oder deren Bearbeitungen auf digitalem Notenpapier zu erdulden. Für die Vielzahl bereits urheberrechtlich freier Musik, die sich bearbeiten lassen könnte, wäre ein solches Wiki für Laienchöre oder -orchester aber sicher eine Erleichterung. Im übrigen gilt, daß zugunsten solcher Projekte wenigstens die Schutzdauern im Urheberrecht nicht mehr erhöht werden sollten – von einer Verkürzung ist ja wohl kaum noch auszugehen.
Offene Fragen zu möglichen Folgen und Problemen
- Würde damit der Markt für professionelle Bearbeitungen beerdigt werden?
- Lassen die Komponisten es zu, daß die Bearbeitungen bei der GEMA angemeldet werden können, damit den Bearbeitern ihr kleiner, aber durchaus angemessener Anteil an den Aufführungen zukommt?
- Wird es Relevanzkriterien – beispielsweise bei banalen Bearbeitungen – und damit Löschdiskussionen wie bei Wikipedia geben?
Ähnliche Projekte:
So neu ist die Idee allerdings nicht. Im Netz finden sich bereits einige Seiten, die auf die eine oder andere Weise Musiknoten sammeln und publizieren: