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Gurlitt und Gurlitt – Eine interessante Belanglosigkeit zum Münchner Kunstfund

Gerade wird bekannt, daß ein Münchner Senior eine unglaubliche Sammlung von Kunstschätzen in einer Münchner Wohnung gehortet hat. Ein Großteil der Bilder (vielleicht sogar alle?) sollen aus dem „Nachlaß“ seines Vaters Hildebrand Gurlitt stammen, der sie wiederum auf vermutlich dubiosen Wegen im Dritten Reich in die Hände bekommen hatte. Es wird gemunkelt, es handele sich dabei um Bestände aus als sogenannte „entartete Kunst“ konfiszierten Beständen, die Hildebrand Gurlitt im Auftrag der nationalsozialistischen Führung verwalten und verwerten, also zu Geld machen, sollte. Möglicherweise hat er dabei auch „ein wenig“ in die eigene Tasche gewirtschaftet und das eine oder andere Gemälde doch lieber selbst behalten.

Der Wert der Sammlung wird auf über 1 Milliarde Euro geschätzt. Das ist – auch wenn man nicht viel von den Phantasiepreisen im Kunstbetrieb halten sollte – ein ungeheurer Betrag und es werden sogar noch mehr versteckte Gemälde vermutet. Die Phrase ist zwar abgedroschen, aber die Realität hat wieder einmal jegliche Vorstellungskraft der Krimiautoren mindestens ein-, wenn nicht gar überholt. Noch ist jedoch recht wenig an die Öffentlichkeit durchgesickert, und auch ich habe eigentlich nichts hinzuzusteuern. Nichts? Nein, eine Sache wäre da, die wenigstens einer kurzen Bemerkung wert sein sollte:

Gurlitt?

Diesen Namen habe ich doch schoneinmal gehört. Nicht mit diesem Vornamen, und nicht in der Kunst! Es war auch nicht der Musikwissenschaftler Wilibald Gurlitt, der mir, wie man meinen möchte, zuerst in den Sinn kam und der Wikipedia zufolge Hildebrand Gurlitts Bruder war.1 Vielmehr erinnerte ich mich an den Namen Manfred Gurlitt, der zumindest ein Cousin welchen Grades auch immer jenes besagten Hildebrand Gurlitts gewesen sein soll2 und sein Leben nicht der Kunst, sondern der Musik verschrieben hatte. Es ist vielleicht nur eine Fußnote, eine unbedeutende Belanglosigkeit in der Geschichte, aber jener Manfred Gurlitt hatte am 22.12.1927 die Orchesterleitung als Generalmusikdirektor zu einer Aufnahme mit der Katalognummer Odeon O-6565a und der Matrizennummer xxB 7909 übernommen.3 Es handelt sich dabei nicht um irgendein Stück – sonst wäre der Zusammenhang jeglicher Kommentierung überflüssig –, sondern Manfred Gurlitt leitete die Aufnahme zu der Hymne des Jonny „Nun ist die Geige mein“ aus der Oper Jonny spielt auf von Ernst Krenek. Kern der Oper ist der Konflikt zwischen Alter Welt und Neuer Welt, also zwischen Europa und Amerika, hier am Beispiel der Musik. Es geht um eine gestohlene Geige – und um Jazz! Am Ende obsiegt Amerika.

Klar, daß das nicht in die Propaganda der Nationalsozialisten paßte und wenig verwunderlich ist es, daß die Hauptfigur – der schwarze Jonny – als Karikatur für die Werbeplakate der berüchtigten Ausstellung „Entartete Musik“ herhalten mußte. Deren Titel „Entartete Musik“ – und damit schließt sich der Kreis – entlehnte sich jenem nationalsozialistischen Kampfbegriff von „entarteter Kunst“, der bekanntermaßen als ideologische Rechtfertigung für die rücksichtslose Beschlagnahme „nicht-arischer“ bzw. „jüdischer“ Kunstwerke durch das nationalsozialistischem Regime diente, was wiederum heute den Ausgangspunkt des eingangs angeführten Münchner Kunstfunds bildet und letztendlich wohl Dreh- und Angelpunkt möglicher Rückgabeforderungen sein wird.

1 Auch wenn Wikipedia nicht in allen Fällen eine vertrauenswürdige Quelle ist; für Genealogie in kleinem Rahmen ist sie hier zumindest bequem genug, um als zitierwürdig zu gelten.

2 Hildebrand Gurlitt war ein Cousin Wolfgang Gurlitts (ebenfalls Kunstsammler und -händler), der als Halbbruder Manfred Gurlitts angegeben wird, und wohl ebenfalls in den Verkauf „entarteter Kunst“ verstrickt war. Auch in der Süddeutschen Zeitung wird auf die Familiendynastie abgehoben, siehe dort insbesondere Seite 2.

3 Selbstverständlich stieß ich im Rahmen meiner Dissertation zum Jazz der Weimarer Republik auf diese Aufnahme. Die entsprechende Quellenangabe mit weiterführendem Literaturhinweis zum Aufnahmedatum ist in der darin abgedruckten Diskographie zu finden.