Schutzfristverlängerungen durch EU-Richtlinie
Vor kurzem ist mit einer EU-Richtlinie zum Urheberrecht eine Schutzfristverlängerung der Rechte der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler beschlossen worden.1 Ob die von der EU angeführten Argumente für eine solche Schutzfristverlängerung richtig sind, ist eine Sache, ob mit der Anhebung der Schutzdauer für Aufnahmen nicht lediglich den Bedingungen der heutigen Pop-Musik Rechnung getragen wird, eine andere. Denn das musikalische Werk in der Pop-Musik läßt sich nicht mehr allein auf die Parameter Melodie und Begleitung reduzieren, sondern das Werk ist vielmehr das Resultat eines komplexen technischen Produktionsprozesses. Die Pop-Musik ist von etwas geprägt, das man — analog zur sogenannten Aufführungspraxis — eine Aufnahmepraxis nennen kann. Die Aufnahme — als dabei eigentliches Werk — ist aufgrund der Verwendung des Mehrspurverfahrens und digitaler Klangeffekte in vielen Fällen kaum noch mit Instrumenten in einer Live-Situation vollständig reproduzierbar. Daher ist die Schutzfristverlängerung — auch wenn man sie aus guten Gründen für falsch hält — zumindest folgerichtig aufgrund dieser Aufnahmepraxis.
Mit der EU-Richtline geht aber auch eine weitere, weitgehend unbeachtete Schutzfristverlängerung einher. So soll in den nationalen Urheberrechtsgesetzen verankert werden, daß bei Werken der Musik sich die Schutzdauer nach dem Todesdatum des letzten Urhebers, sei es der Komponist oder der Textdichter, richtet. Zu Artikel 1 der „Directive 2006/116/EC of the European Parliament and of the Council of 12 December 2006 on the term of protection of copyright and certain related rights“2 soll folgender Absatz 7 hinzugefügt werden:
„The term of protection of a musical composition with words shall expire 70 years after the death of the last of the following persons to survive, whether or not those persons are designated as co-authors: the author of the lyrics and the composer of the musical composition, provided that both contributions were specifically created for the respective musical composition with words.“3
Dies wird zur Folge haben, daß man die Musik und Text eines Stückes hinsichtlich der Berechnung der Schutzdauer nicht mehr ohne weiteres getrennt betrachten kann. Offensichtlich soll die Schutzdauer für Musikwerke in den meisten Fällen den sogenannten Miturheberschaften (vgl. § 8 UrhG) gleichgestellt werden. Die konkrete Umsetzung obliegt zwar noch dem Gesetzgeber, es ist aber abzusehen, daß es Fälle, in denen eine Melodie vor dem zugehörigen Liedtext frei wird, zukünftig kaum noch geben wird. Ausnahmen hierzu könnten nachträglich vertonte Texte oder nachträglich textierte Melodien bilden.
Faktisch kann die Schutzfrist für Musikwerke mit dieser Regelung erheblich verlängert werden:4 Beispielsweise könnten Komponisten, die ihre Witwen, Kinder, Enkel, Großenkel oder sogar noch ihre Urgroßenkel lange mit Tantiemen beglücken wollen, die Zusammenarbeit mit deutlich jüngeren Textdichtern, die einen gesunden Lebensstil pflegen, in Erwägung ziehen. Die Musikindustrie könnte auch darüber nachdenken, künstlerische Partnerschaften zwischen Alt und Jung zu fördern, mit dem Ziel, eine höchstmögliche Schutzdauer für ihr Verlagsrepertoire zu erreichen.
1 Siehe bspw.: http://www.golem.de/1109/86418.html
2 Deutsche Fassung: Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte.
3 http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/11/pe00/pe00016.en11.pdf, S.10. Siehe auch: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_Data/docs/pressdata/en/intm/124570.pdf, S.2.
4 Der Deutsche Bühnenverein stand dieser Regelung wohl von Anfang an kritisch gegenüber.