Udo Jürgens und ein Textfragment
Es ist doch immer wieder erstaunlich, wofür geistiges Eigentum beansprucht wird. Und wenn schon nicht die Gerichte bemüht werden, so wird doch gelegentlich von einer Höflichkeitspflicht gesprochen, einen vermeintlich ersten Urheber eines Textfragments zu nennen. Konkret geht es um Udo Jürgens. In seinem Lied Du bist durchschaut taucht die Textzeile „Die Welt ist eine Google“ auf. Ob das ein gelungenes Wortspiel ist, mag jeder selbst entscheiden, aber es gab bereits vor einigen Jahren in der sogenannten Blogosphäre einen Streit über die „Urheberschaft“ an jenem Wortspiel.1
In der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 30.03.2011 erschien ein kurzer Artikel von Andrian Kreye, der Udo Jürgens Song und das darin enthaltene Wortspiel „Die Welt ist eine Google“ thematisiert. Kreyes Artikel trägt folgende Unterüberschrift:
Und noch ein Plagiätchen: Für den internetkritischen Song auf seinem neuen Album „Der ganz normale Wahnsinn“ klaute Udo Jürgens – ausgerechnet im Internet.
Udo Jürgens, oder eigentlich dem Textdichter Wolfgang Hofer, wird also der Diebstahl geistigen Eigentums vorgeworfen. Im Fließtext schwächt Kreye dies ab und meint, „ob man das Zitat als solches kennzeichnet, wäre keine Frage der Tantiemen, sondern der Höflichkeit“.
Nun, dem stimme ich nicht zu. Es wäre zunächst einmal die Frage zu klären, ob es sich dabei überhaupt um ein Zitat handelt. Wohl eher nicht, wenn man ein Textzitat als eine bewußte und als Zitat gekennzeichnete Übernahme einer Textstelle aus einem anderen Werk auffaßt. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei gar nicht um eine Übernahme eines Wortspiels, sondern einfach um eine Doppelschöpfung. „Die Welt ist eine Google“, ist weiterhin ein banales Wortspiel, für das meines Erachtens kein Urheberrechtsschutz beansprucht werden kann. Zwar wird ein Artikel, in dem dieses Wortspiel auftaucht, urheberrechtlich geschützt sein, und Übernahmen von Textstellen aus einem Artikel müssen als Zitate gekennzeichnet werden, aber generell Wortspiele zu schützen, das übersteigt Sinn und Zweck des Urheberrechts. Es kann und darf kein Urheberrecht für denjenigen entstehen, der ein Wortspiel zuerst in einem Text veröffentlicht, und zwar aus zwei Gründen:
- käme es bei einem — aus guten Gründen abzulehnenden — allgemeinen urheberrechtlichen Schutz von Textfragmenten auf eine schriftliche Veröffentlichung gar nicht an, sondern die Urheberschaft müßte auch demjenigen zugesprochen werden, der ein Wortspiel zuerst mündlich äußert, umgangssprachlich also „erfindet“. Das wäre in der Praxis gar nicht nachzuprüfen und außerdem müßte stets geklärt werden, ob es sich nicht jeweils um Doppelschöpfungen handelt.
- würde ein Schutz für Textfragmente zu einer Monopolisierung der Sprache führen.
Damit wäre — zumindest für mich persönlich — auch die Frage beantwortet, ob ein solches Wortspiel freiwillig als Zitat gekennzeichnet werden sollte: Hier überwiegt meiner Meinung nach eindeutig die Kunst- und Meinungsfreiheit das Interesse eines vermeintlichen Urhebers, ein einfaches Wortspiel als geistiges Eigentum zu schützen. Würde man jede Textphrase, die einem selbst eingefallen ist, einer „Plagiatsprüfung“ unterziehen, wäre jegliches produktive Schaffen im Keim erstickt. Vor allem aber darf man einer solchen völlig verfehlten Verschärfung des Urheberrechts nicht einmal ansatzweise Vorschub leisten. Jeder Autor, Musiker und Künstler lebt im Spannungsfeld von Kunstfreiheit und geistigem Eigentum, und bei der Frage, ob kurze Textfragmente und Wortspiele schutzwürdig sind, müssen eigentlich alle Urheber in ihrem eigenem Interesse die Kunstfreiheit hochhalten.
1 siehe bspw.: Glaserei: Bemerkenswertes aus der digitalen Welt