Zusammenprall der Kulturen: Vuvuzelas
Schaltet man in diesen Tagen den Fernseher ein, um ein Spiel der Fußballweltmeisterschaft zu sehen, wird man akustisch von einem Bienenschwarm überfallen. Es summt und summt und summt, und schuld daran sind die Vuvuzelas. Man muß tatsächlich den Plural verwenden, denn ein einzelnes dieser Plastikinstrumente erzeugt eben nur den Einzelklang; es ist erst der Gesamtklang, durch den jenes permanente Hintergrundsummen entsteht.
Zur Zeit gibt es einen Zusammenstoß verschiedener Kulturen und zwar zwischen denjenigen, die hierzulande vor dem Fernseher sitzen und nicht verstehen können, was die Südafrikaner an den Vuvuzelas finden, und zwischen den Südafrikanern, die es als Teil des südafrikanischen Fußballs sehen, mit ihren Vuvuzelas die Geräuschkulisse zu beherrschen.
Nun, die Vuvuzelas sollen tatsächlich sehr laut sein, wenn man sich in ihrer direkten Umgebung aufhält. Schallstärken von bis zu 120 Dezibel in der Nahdistanz werden genannt und eine Vielzahl von solchen Instrumenten in einem Stadion erzeugen daher einen ungeheuren Lärm. Allerdings kann auch eine europäische Trompete Hörschäden verursachen, wenn sie einem direkt ins Ohr gespielt wird, ganz abgesehen von den druckluftbetriebenen Hupen, die von vielen Fans verwendet werden.
Der Konflikt geht aber gar nicht um den Pegel der Geräuschkulisse, sondern um deren Funktion: Für die europäischen Zuschauer und auch die Spieler fällt nach Meinung vieler die Stimmung im Stadion und vor dem Fernseher ins bodenlose, wenn die Vuvuzelas erklingen. Die Fußballfans aus Europa (und vielleicht auch aus anderen Ländern) wollen augenscheinlich einen Spannungsbogen durch Gesänge, Pfiffe, Jubel, Laola-Wellen und gelegentlichen ausfallenden Beschimpfungen jenseits von Gut und Böse haben. Das ästhetische Konzept der oder zumindest eines Teils der Südafrikaner im Fußballstadion besteht offensichtlich aus einem hohen Dauerpegel der Lautstärke ohne eine ausgeprägte Dynamik. Daß es trötet und nicht trommelt wird vielen Europäern dabei befremdlich erscheinen und bei manchem die kulturelle Toleranzgrenze erst überschreiten lassen: Der Bienenschwarm passt nicht in das Afrika-Bild vieler Menschen. Trommeln hingegen würden bei ähnlich hoher Dezibelzahl sicherlich als Symbol großer afrikanischer Fußballbegeisterung interpretiert und akzeptiert werden. Nur wird in afrikanischen Stadien weniger getrommelt als getrötet.
Das sollte eigentlich die Erkenntnis der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika sein, sofern sie, wie immer wieder verkündet, der Völkerverständigung dienen soll: Die eigenen Konzepte von sogenannter Fankultur können nicht ohne weiteres auf die Fankultur anderer Nationen, Völker oder Ethnien übertragen werden. Nur kann bezweifelt werden, daß eine der quasi-pädagogischen Ideen der Ethnologie, daß nämlich durch das Erkennen der Andersartigkeit fremder Kulturen das eigene Denken und Handeln reflektiert wird, in der Mehrheit der Bevölkerung fruchtet. Man befürwortet fremde Kulturen meist nur dann, wenn sie in das eigene ästhetische Konzept passen. Vuvuzelas tun das wohl nicht.